Fachspezialist für Elementarschadenprävention bei der Aargauischen Gebäudeversicherung (Die AGV).

«Nur Murgänge haben wir keine» - Plangespräch mit Georges Brandenberg

Georges Brandenberg erzählt uns von modifizierten Armbrüsten und den Herausforderungen im Wasserkanton Aargau und erklärt, warum permanente oder automatische Lösungen zum Schutz der Gebäude vor Überschwemmung die effizientesten sind. Wir haben ihn als erstes gefragt, wie sich der Klimawandel konkret im Kanton Aargau zeigt?

26. 09. 2025

Georges Brandenberg: Der Klimawandel ist längst nicht mehr abstrakt – er ist Realität. Im Kanton Aargau beobachten wir eine klare Zunahme von Extremereignissen.

Das bedeutet: Heftige Starkregen mit grossen Wassermengen in kurzer Zeit, sehr trockene Sommer, mehr Tropennächte und gleichzeitig im Winter mehr Regen statt Schnee. Besonders problematisch ist dabei die Kombination aus Trockenheit und anschliessendem Starkregen: Der ausgetrocknete Boden kann das Wasser nicht aufnehmen oder ist bereits übersättigt, Wasser fliesst oberflächlich ab. Das bedeutet, dass selbst Gebiete, die nicht in der Nähe eines Sees, Baches oder Flusses liegen, plötzlich von Überschwemmungen betroffen sind. Der Aargau ist zudem geologisch und hydrologisch gesehen ein „Wassersammler“ – vieles, was in anderen Kantonen abfliesst, fliesst durch unseren Kanton. (Hier geht es zur Gefahrenkarte)

Welche konkreten Herausforderungen ergeben sich daraus für den Hochwasserschutz und die Gebäudesicherheit?

Die grösste Herausforderung ist, dass unsere gebaute Umwelt oft den Wetterverhältnissen nicht gerecht wird. Viele Siedlungen sind nicht optimal auf das vorbereitet, was heute ist – geschweige denn auf das, was noch bevorstehen könnte. Ein Beispiel ist der sogenannte Oberflächenabfluss: Dieser kann nicht über die Kanalisation abgeführt werden. Das Wasser fliesst über Strassen, Garageneinfahrten, Plätze oder Gärten und gelangt so in das Gebäude. Das passiert schnell und oft sehr überraschend. Viele denken bei Hochwasser nur an Bäche oder Flüsse – aber die Hälfte der Überschwemmungsschäden im Aargau stammt nicht aus übertretenden Gewässern, sondern aus Abfluss von Oberflächenwasser während Starkregen.

Was bedeutet das für die Gebäudesicherheit?

Es reicht nicht mehr, einen Keller einfach abzudichten oder eine Pumpe zu installieren. Es braucht systemisches Denken – vom Geländeverlauf über die Entwässerung bis hin zur Wahl der Baumaterialien. Und genau da beginnt die Arbeit für die Bauingenieurbüros und Planende.

Bauingenieurinnen und Bauingenieure sind dabei von zentraler Bedeutung für den Schutz vor Elementarschäden. Sie erstellen Gutachten, berechnen hydraulische Risiken sowie Wind- und Schneelasten und sorgen für die technische Umsetzung von Schutzmassnahmen – sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen. In Zusammenarbeit mit Versicherungen und Behörden berechnen sie Abflussvolumen und erstellen Schutzkonzepte für die Gebäude. Sie werten Erfahrungen aus, geben Empfehlungen zur Erhöhung von Objektschutzmassnahmen oder zur Umsetzung von Wasserbaumassnahmen sowie Renaturierung und helfen so, nachhaltige Lösungen umzusetzen.

Welche Ansätze gibt es, um dem langfristig zu begegnen?

Es braucht einen grundlegenden Perspektivenwechsel – weg von der Idee, dass Wasser möglichst schnell abgeleitet werden muss, hin zur Idee, Wasser zwischenzuspeichern, kontrolliert um- und abzuleiten bis auch versickern zu lassen. Das Versickern hilft nicht im Ereignisfall, aber im Nachgang. Die sogenannte „Schwammstadt“ oder Sickerstadt verfolgt genau dieses Prinzip. Regenwasser soll lokal zurückgehalten werden – über begrünte Dächer, durchlässige Beläge, Retentions- und Flutflächen.

Haben Sie ein gutes Beispiel?

Ja, die Umgestaltung von Quartieren, in denen heute jedes Fleckchen Boden versiegelt ist. Wenn wir dort Rasengittersteine statt Asphalt einsetzen oder Grünräume anlegen, hilft das enorm. Auch bauliche Konzepte wie höher bauen in betroffenen Gebieten, tief liegende Abflusskorridore, Sickerschächte oder Speicherbecken gehören dazu. Auch ein einfaches Regenfass ist eine gute Idee. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern auch ökonomisch sinnvoll, weil wir die Systeme entlasten und somit Schäden vermieden werden. Wir sprechen hier über einen Paradigmenwechsel in der Planung und Umsetzung.

Und wie steht es um das Thema Hagel?

Hagel ist eine Naturgefahr, die stark unterschätzt wird – obwohl sie in Bezug auf die Schadenshöhe mittlerweile zu den Spitzenreitern gehört. Bei einem einzigen Hagelzug können in Minuten Schäden in Millionenhöhe entstehen. Besonders betroffen sind Lamellenstoren, Oblichter, Solarpanels, Abdeckbleche, Fassaden – also alles, was dem Wetter ausgesetzt ist. 

Im Fricktal oder auch im oberen Freiamt hatten wir letzthin Hagelkörner mit bis zu 45 mm Durchmesser, grösser als Golfbälle. Das ist nicht nur laut, sondern zerstörerisch. Und das Fatale: Selbst neue Gebäude sind oft nicht für HW 3 – also Hagelwiderstand gegen 30-mm-Körner – ausgelegt. Wenn das Material nicht widerstandsfähig genug ist, muss man baulich nachrüsten.

Was heisst das?

Die wichtigste Massnahme ist das rechtzeitige Reagieren – und das beginnt mit Frühwarnung. Die Hagelbox zum Beispiel ist ein Instrument, das genau das ermöglicht: Sie kommuniziert direkt mit SRF Meteo. Wenn ein Hagelereignis aufzieht, erhalten die angeschlossenen Systeme das Signal zum Hochfahren der Storen, bevor der Hagel überhaupt auftrifft. Das funktioniert natürlich nur bei Systemen, die elektrisch gesteuert sind.

Das zweite Element ist die Materialwahl. Viele Schäden entstehen nicht durch die Wucht des Hagels allein, sondern weil die Materialien nicht gut gewählt wurden. Wir empfehlen daher bei Überdachungen oder Oblichter Glas statt Kunststoff, Aluminium statt Dünnblech – oder schlicht: keine empfindlichen Strukturen, wo es robust sein muss. Eine Liste mit hagelgeprüften Produkten sind im Hagelregister auf www.hagelregister.ch zu finden.

Wie stellt die AGV denn sicher, dass verbautes Material wirklich HW 3 geeignet ist?

Hier kommt unsere Hagel-Armbrust ins Spiel. Wir haben zwei modifizierte Exemplare, mit denen wir direkt vor Ort prüfen können, ob ein Bauteil einem HW-3-Hagelkorn standhält. Das heisst: Wir schiessen mit normierten Eiskugeln mit einem Durchmesser von 30 mm auf das Material.

Damit können wir im Schadenfall prüfen, ob das verbaute Bauteil den geforderten Widerstand hat oder dieser nachgelassen hat. Ist das Material nicht entsprechend widerstandsfähig, hat das Einfluss auf die Versicherungsleistung im Schadenfall. Wir wollen keine Strafen verteilen, aber wir wollen Verantwortung einfordern – auf Augenhöhe.

Welche weiteren Risiken werden oft unterschätzt?

Rückstau der Kanalisation ist ein Klassiker. Die meisten denken: „Wenn Wasser kommt, dann von aussen.“ Aber oft kommt es eben von unten – aus der Kanalisation, wenn sie überlastet ist. Rückstauklappen kosten nicht viel, wirken aber wie ein Sicherheitsventil in Ergänzung zum Hochwasserschutz. Trotzdem sehen wir oft: Sie fehlen oder sind nicht gewartet worden.

Oder die Mikro-Topografie. Viele Leute verlassen sich auf den Standort allein – „ich wohne doch an einem Hang, da passiert nichts.“ Doch es reicht eine kleine Mulde, eine falsch modellierte Zufahrt oder bodenebene Schächte, und schon läuft das Wasser genau dort hinein. Wir sehen das immer wieder. Deshalb sinddigitale Geländemodelle und Gefahrenkarten so hilfreich. Und besonders wichtig beim Bauprojekt: das Gefälle weg vom Gebäude.

Gibt es Beispiele für erfolgreiche Projekte?

Sehr viele. Im Möhlintal hat der Kanton am MöhlinbachRückhaltebecken angelegt und renaturiert, und so den aktiven Hochwasserschutz umgesetzt. Mit unserer Unterstützung hat ein Eigentümer nach einem Schaden das ganze Gelände neu modelliert. Jetzt fliesst das Wasser am Haus vorbei – vorher ging es direkt hindurch. Das sind Erfolgsgeschichten, weil sie zeigen: Man kann vorsorgen. Und man muss nicht immer viel Geld investieren – oft reichen einfache, gut durchdachte Lösungen.

Ein anderes Naturereignis, über das wir bisher kaum gesprochen haben, ist das Erdbeben. Gerade die Region Basel gilt als erdbebengefährdet. Welche Rolle spielt das bei der AGV?

Das ist ein spannender Punkt. Tatsächlich ist das Erdbeben in der Schweiz ein reales Risiko, insbesondere in der Region Basel oder auch im Wallis. Aber: Erdbeben sind bei der AGV nicht versichert. Wir haben keinen gesetzlichen Auftrag, in diesem Bereich tätig zu sein. Trotzdem schreiben die SIA-Normen vor,dass Gebäude erdbebensicher gebaut werden müssen. Der Fokus der AGV liegt aber auf den versicherten Naturgefahren – insbesondere Überschwemmung, Hagel, Sturm und Schneedrucksowie übrige versicherbare Naturereignisse. Lawinen haben wir kaum.

Wie sieht eure Vision für einen klimaresilienten Aargau aus?

Unsere Vision ist klar: Wir wollen einen Kanton, der vorbereitet ist. Wo Risiken so gut wie möglich bekannt sind, Schutz selbstverständlich ist und niemand mehr sagt: „Das konnte ja niemand wissen.“ Wir wollen, dass Planungs- und Ingenieurbüros, Gemeinden, Hauseigentümerinnen und -eigentümer – und auch wir als Gebäudeversicherung – gemeinsam und nachhaltig Verantwortung übernehmen. Damit verhindern und vermindern wir Leid aus Gebäudeschäden und schaffen Sicherheit.

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Zur Person:
Georges Brandenberg sieht die Auswirkungen des Klimawandels von der anderen Seite. Er ist diplomierter Architekt, beruflich motivierter Hobby-Meteorologe und manchmal auch Psychologe. Als Fachspezialist für Elementarschadenprävention bei der Aargauischen Gebäudeversicherung steht er an der Schnittstelle von Natur und Mensch. Brandenberg ist dabei viel unterwegs, mit gutem Schuhwerk an der Schadenstelle oder mit dem Laptop und Gefahrenkarten in Planungssitzungen. Seine Aufgabe ist es, Risiken sichtbar zu machen, Schutzkonzepte zu entwickeln, prüfen und alle Involvierten so zu beraten, dass sich kleine und grosse Schäden an den Gebäuden nicht wiederholen. Dabei braucht er nicht nur Fachwissen, sondern auch Einfühlungsvermögen. Denn wer gerade Wasser im Keller oder verhagelte Lamellenstoren hat, braucht mehr als nur technische Tipps – es braucht jemanden, der zuhört und Lösungen aufzeigt.

https://die-agv.ch/

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