Nachhaltig mischen, besser bauen
Beton ist mehr als grau. Wie lässt sich Beton nachhaltiger denken und produzieren – und was bedeutet das für die Produktewahl, Planung und Ausführung?
Sabrina Steinacher, Bauingenieurin und Expertin für nachhaltige Baustoffe bei der Jura-Cement-Fabriken AG, erklärt technische Hintergründe zur Klinkerherstellung und spricht über Stolpersteine, Überzeugungsarbeit und das Potenzial eines Baustoffs, der mehr kann als grau sein. Wir haben sie als erstes gefragt, wie sie in die Zementbranche gekommen ist?
Sabrina Steinacher: Ursprünglich habe ich Bauingenieurwesen studiert und einige Jahre im Infrastrukturbereich gearbeitet. Anschliessend habe ich einen Master in Civil Engineering and Building Technology angehängt und mich dabei auf die Materialtechnologie und insbesondere auf den Betonbau spezialisiert. Meine Masterarbeit schrieb ich über nachhaltigen Beton – das Thema hat mich gepackt und seither nicht mehr losgelassen.
Heute habe ich mich bei uns im technischen Kompetenzzentrum (TCC) auf das Thema Nachhaltigkeit fokussiert und kümmere mich um Kundenanfragen: Unsere Kunden – ob Betonwerke, Bauunternehmen, Planer oder Bauherren – kommen auf uns zu, wenn sie etwa CO₂-Angaben für Ausschreibungen benötigen oder Fragen zu unseren Produkten haben. Wir leisten Hilfestellung bei Ökobilanzen, begleiten die Einführung von neuen Produkten und schulen unsere internen Teams in den 15 zugehörigen Betonwerken.

Wird nachhaltiges Bauen bereits flächendeckend verlangt?
Sabrina Steinacher: Noch nicht. Es gibt Bauherrschaften, die eine Vorreiterrolle einnehmen, wie zum Beispiel die SBB, V-ZUG oder die Stadt Zürich. Es ist aber leider nicht so, dass die CO₂-Reduktion überall Standard wäre. Normen wie die SIA 390/1 und erste Ausschreibungen mit Nachhaltigkeitskriterien im öffentlichen Beschaffungswesen deuten aber klar in diese Richtung.
Ein Ton macht den Unterschied
Wo entstehen die grössten CO2-Emissionen bei der Zementherstellung?
Sabrina Steinacher: Der Hauptanteil der CO₂-Emissionen entsteht bei der Herstellung des Klinkers, der wichtigsten Komponente im Zement. Dafür wird Kalkstein – chemisch CaCO₃ – in einem Hochtemperaturprozess auf über 1400 °C erhitzt. Dabei entsteht Calciumoxid und CO2 und dieses CO₂ wird freigesetzt. Diese CO2-Emission ist chemisch bedingt und macht etwa zwei Drittel der Gesamtemissionen bei der Zementherstellung aus. Selbst wenn wir den Ofen mit 100% alternativen Brennstoffen betreiben, fällt dieses CO₂ weiterhin an.


Wie begegnet Jura Cement dieser Herausforderung?
Sabrina Steinacher: In unseren Zementen senken wir gezielt den Klinkeranteil. Stattdessen setzen wir andere Zusatzstoffe ein – allen voran kalzinierten Ton. Dieser Ton wird ebenfalls thermisch, also mit Hitze, aktiviert, verursacht aber deutlich weniger CO₂. Ergänzt wird er durch einen Anteil Kalkstein, der als inerter Zusatzstoff dient. Die CO₂-Einsparung erreichen wir vor allem durch den Einsatz von reaktivem, kalziniertem Ton, der es uns erlaubt, den Klinkeranteil signifikant zu reduzieren
Was unterscheidet diesen Ton von anderen Zusatzstoffen?
Sabrina Steinacher: Ton ist ein natürlicher, weltweit verfügbarer Rohstoff, dessen Verfügbarkeit nicht von anderen Prozessen abhängig ist. Durch die Kalzinierung wird er reaktiv und kann somit die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Betons positiv beeinflussen.
Wir sind schon seit einigen Jahren an diesem Thema dran. Die ersten Versuche mit kalziniertem Ton liegen rund fünf Jahre zurück. Vor etwa zwei Jahren haben wir unseren nachhaltigen Zement dann offiziell auf den Markt gebracht. Das Besondere daran: Er ist sowohl für den Hoch- als auch für den Tiefbau zugelassen. Und das ist ein grosser Vorteil, denn viele klinkerreduzierte Zemente in der Schweiz dürfen nur im Hochbau eingesetzt werden – für anspruchsvollere Anforderungen im Tiefbau fehlen oft die Performance und die nötigen Zulassungen.
40 Kilo weniger CO₂ pro Kubikmeter Beton – das hat (noch) seinen Preis
Wieso ist der nachhaltige Beton aktuell noch teurer?
Sabrina Steinacher: Unser klinkerreduzierter Zement kostet derzeit noch etwas mehr pro Kubikmeter Beton als unser Standardprodukt. In einer Branche, in der der Preis oft ausschlaggebend ist, kann das den Unterschied machen und den Auftrag kosten. Vor allem bei Ausschreibungen ohne ökologische Bewertungskriterien entscheidet meist der günstigste Anbieter – Leider.

Woran liegt der Aufpreis?
Sabrina Steinacher: Das hat in erster Linie mit den Arbeitsprozessen zu tun. Aktuell kalzinieren wir den Ton in unserem bestehenden Klinkerofen in Cornaux. Wir müssen die Anlage also jeweils von Klinker- auf Tonbetrieb umstellen. Das geschieht etwa zwei- bis dreimal pro Jahr. Diese Umstellungen verursachen Aufwand, Produktionsunterbrüche und zusätzliche Kosten. Langfristig planen wir, diesen Prozess zu optimieren.
Wie hoch ist die CO₂-Einsparung durch nachhaltigen Beton?
Sabrina Steinacher: Der Unterschied ist beträchtlich. Im Vergleich zu einem Beton mit einem Standard-Zement CEM II/B sparen wir rund 40 Kilogramm CO₂ pro Kubikmeter Beton. Je nach Bauvolumen summiert sich das sehr schnell auf beachtliche Mengen.
Erklären, überzeugen, anwenden – Veränderung im Bauwesen braucht Vertrauen
Wie reagieren die Baufachleute eigentlich auf diese Neuigkeit?
Sabrina Steinacher: Wir haben in den vergangenen Monaten viele Veranstaltungen besucht. Das Interesse ist gross – gerade bei Fachveranstaltungen, Netzwerkanlässen, an Polierschulen oder in Gesprächen mit Planerinnen und Bauherren. Aber sobald es konkret wird, spüren wir immer noch gewisse Vorbehalte. Einerseits ist da die leicht beige Farbe des Betons. Für einige Architekten ist das ein ästhetisches K.-o.-Kriterium, weil sie auf das klassische, neutrale Grau setzen. Andererseits: Das Produkt ist noch relativ neu. Viele warten lieber ab, bis mehr Referenzprojekte vorhanden sind. Die Branche beobachtet noch.
Wie begegnen Sie diesen Bedenken?
Sabrina Steinacher: Mit viel Aufklärung und in persönlichen Gesprächen. Wir zeigen auf, dass der nachhaltige Beton ein vollständig geprüftes und zugelassenes Produkt ist, das dieselben technischen Eigenschaften mitbringt wie konventioneller Zement.
Die Farbe? Ja, sie ist leicht anders. Es gäbe theoretisch die Möglichkeit, ein Farbpigment zuzugeben. Aber die sind teuer und auch nicht umweltfreundlich, deshalb von unserer Seite momentan ein klares Nein. Wenn Sie sich Bauprojekte anschauen, fällt Ihnen die leicht beige Farbe oftmals überhaupt nicht auf. Viele Betrachter empfinden sie sogar als wärmer, gerade in Kombination mit Holz. Am Ende zählt für uns: Vertrauen schaffen. Denn mit jeder erfolgreichen Anwendung wächst auch die Akzeptanz.

Gibt es weitere Entwicklungen im Bereich nachhaltiger Zemente?
Sabrina Steinacher: Ja, unter anderem Carbon Capture and Storage und Carbon Capture and Use (CCS / CCU). Dieses Thema steht auch bei uns ganz oben. Die Technik ist vielversprechend, aber im Moment noch sehr energieintensiv.
Auch alternative Bindemittel sind in der Forschung. Die EMPA arbeitet an magnesiumbasierten Zementen aus Olivin, die CO₂ beim Erhärten sogar binden. Das wäre ein CO₂-negativer Werkstoff – aber noch sind viele Fragen offen, auch die der regionalen Verfügbarkeit. Aber es tut sich viel in der Branche. Die kommenden Jahre werden sehr spannend.
Wer nachhaltig bauen will, muss gemeinsam denken
Welche Rolle spielen die Bauingenieur:innen bei der Umsetzung nachhaltiger Bauweisen?
Sabrina Steinacher: Mit dem Finger einfach auf die Bauingenieur:innen zu zeigen und zu sagen: „Ihr müsst jetzt liefern“, ist mir zu einfach. Ich bin selbst Bauingenieurin und weiss genau, unter welchem Zeit- und Kostendruck man in dieser Rolle steht. Ich bin überzeugt: Wenn man mehr Planungsspielraum hätte, würden viele gerne die Chance nutzen, sich intensiver mit der Materialwahl oder der Optimierung einzelner Bauteile auseinanderzusetzen.
Deshalb sehe ich auch die Bauherrschaft in der Verantwortung: Sie müsste bereit sein, mehr Zeit und eventuell höhere Planungskosten zuzulassen – im Vertrauen darauf, dass sich diese Investition am Ende lohnt. Denn durch clevere Planung zum Beginn lassen sich hinterher oft Materialien einsparen oder sinnvoller einsetzen. Und das bedeutet: ökologischere Lösungen, ohne dass das Gesamtprojekt teurer wird.
Ich wünsche mir also mehr Offenheit, mehr Mut und einen stärkeren Austausch zwischen allen Beteiligten. Denn Bauen ist schon unter normalen Umständen keine Einzeldisziplin – nachhaltig Bauen ist erst recht Teamarbeit.
Und was motiviert Sie persönlich, an diesem Thema dranzubleiben?
Sabrina Steinacher: Die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen. Nachhaltigkeit ist ein Hebel, mit dem wir die Zukunft des Bauens aktiv gestalten können. Es braucht viel Überzeugungsarbeit – aber wenn man sieht, wie sich etwas verändern kann, Projekte umgesetzt werden und neue Lösungen entstehen, ist das enorm erfüllend.